Kylix – die Sonnenschale

Vom ‚Gelben Fluss‘ und der ‚Goldenen Spule‘.

“Ich habe nie verstanden, was die Bundeslade ist und auch nie, was der Gral ist. Es scheint als ob jene ein Kasten gewesen sei und dieser ein Kessel, aber was es darüber hinaus mit den besagten Behältern auf sich gehabt habe, wird mir wohl immer schleierhaft bleiben.” Peter Hacks

Noch in den spanischen Spielkarten finden wir ein Symbol, welches als Becher oder Pokal bezeichnet wird. Woher kommt dieses Symbol? Was war das, der heilige Gral?

Kylix mit Pegasus, Griechenland. Nationalmuseum, Dänemark.

Viele der frühesten Artefakte stellen Raum- und Zeitkonstrukte dar. Das betrifft beispielsweise den Schrein und auch das Tempelportal, gemeint und dargestellt ist der Zeitraum zwischen den Sonnenwenden. Die „Tiere auf Rädern“ wurden hin und her geschoben, ein solches Auf und Ab vollführt die Mittagssonne im Jahresverlauf, die Räder drücken eine Art Zeitachse in den Sand und die Tiere selbst stellen dann die Ist-Zeit auf dieser Achse dar. („Spielzeuge“ waren das mit Sicherheit nicht, soweit können wir unseren kreationistischen Professoren jedenfalls aufhelfen). Mit den Tonschalen wurde dieses Raum- und Zeitkonzept in ein dreidimensionales Bild überführt: Die Sonne schien Rundflüge um die Erde zu unternehmen. Der Durchmesser ihrer Rundflüge wurde aber als veränderlich und zyklisch erkannt. In der folgenden Skizze ist zu sehen, welche Vorstellungen sich unsere Ur-Väter von diesen Rundflügen der Sonne machten. Man sprach von der Goldenen Spule. Mit diesen Schalen wurde wiederum dieser genau definierte, hochwichtige Himmelsstreifen getöpfert:

Abb. 1 – „Das Laufrad der Sonne“.

Bevor der Mensch die Zeit auszählen konnte, mußte er auszählbare Zeiträume abstecken. Dieser Himmelsstreifen war eben auch ein Zeitkorridor, man sprach vom „Gelben Fluß“. Die Kylix wollte diesen Gelben Fluss räumlich darstellen.

Abb. 2. Kylix mit Pegasus, Griechenland. Nationalmuseum, Dänemark.

Wer so eine Schale an den Henkeln ergreift und senkrecht hält, wie es die Skizze 1 andeutet, kann mit dem äußeren Schalenrand den Rundflug der Sonne zur Sommersonnenwende unterrichten. Hin zur Wintersonnenwende werden die Rundflüge der Sonne scheinbar enger, sie scheinen sich auch „nach hinten“ zu verlagern. Mit der Schale läßt sich das anschaulich darstellen. (Im Mittelalter hieß es, der frühe Mensch habe eine „falsche Perspektive“ gezeichnet. Aber es kam diesen Leuten auf eine ganz andere Art von Perspektive an.)
Dieses „Laufrad der Sonne“ hatte scheinbar tausend Namen, es wurde Olo, Ofa oder auch Ouroboros genannt. Man hat es in konzentrische Kreise unterteilt, in „Sonnenstufen“, Zeitabschnitte. Oft teilt eine Mittellinie das Laufrad der Sonne, (wie es hier in Abb. 2 zu sehen ist). Die dünne Trennlinie verbildlicht den Rundflug der Sonne zur Tagundnachtgleiche. In Ägypten wird sie Anubislinie genannt. (Demnach spähen die Anubis-Hunde aus, ob die Sonne! in ihre Unterwelt eintaucht oder in ihre Oberwelt aufsteigt. – Hunde melden den sich Nähernden, sie jagen im Rudel, umkreisen ihr Opfer. Daher wohl diese Gleichsetzung.)

Abb. 3 und 4. Mesopotamien, 3500 v. C.
Pokale aus Tepe Hissar Damghan, Penn Museum, Philadelphia.

Der Pokal in Abb. 3 zeigt eine auffällige „Kamm-Struktur“. Es scheint, als wollte man die Flugbahnen der Sonne zwischen den Sonnenwenden alle einzeln dokumentieren. Hingegen zerfällt der Sonnenring in Abb. 4 wiederum in eine obere und eine untere Hälfte, (wie es auch in der Abb. 2 dargestellt wurde). Solche groben Zeitabschnitte oder ‚Sonnenstufen‘ werden nun unterschiedlich ausdekoriert. Verwendet wurden dazu Bildzeichen, die bereits eine eigenständige Bedeutung gehabt haben dürften. Ich habe den Eindruck, daß die bis dato erzeugten Bildzeichen jetzt gelegentlich parallel als Aufzählungszeichen Verwendung finden. (Das Halbjahr der kurzen Tage wurde hier mit einer Winkelkette ausgestaltet. Oft genug wurde der Sonnenring insgesamt mit einer solchen Winkelkette ausgemalt. Die Sonne pendelt ewiglich zwischen Sommer und Winter hin und her, sollte das heißen. Und die Katze (oben in Abb. 4) erinnert in ihrer Darstellungsweise ein wenig an die mesopotamischen Stadttore. Sie bezeichnet hier das Halbjahr der langen Tage.)
Der Zeitraum zwischen den Sonnenwenden wird zunächst in zwei bis drei Stufen unterteilt und dann aber auch in vier oder sechs Stufen. Die goldene Artemis zeigt oft sechs Sonnenstufen auf ihrem Rock vor. (Die Mythen berichten, man könne auf den Röcken der Götter lesen… Ablesen und anzeigen konnte man da die Höhe der Sonne.)
Sowohl der Neptun als auch die Herme unterscheiden anfangs nur den Bereich der hochstehenden Sonne vom Bereich der tiefstehenden Sonne, so, wie es in Abb. 2 und 4 dargestellt wurde.
Solche „Sonnenstufen“ konnte man charakterisieren. Die hohe Sonne wurde beispielsweise mit der Farbe Rot (Feuer, Hitze) beschrieben und auch mit hochgelegenen Körperteilen (wie dem Kopf oder dem Kinn). Der lichtarmen Wintersonne wurde manchmal die Farbe Schwarz zugeteilt, angezeigt wurde sie mit dem Unterleib oder den Füßen. Auch Referenzsterne konnten solchen Zeitabschnitten zugeordnet werden. Es entstanden „Beschreibungsketten für Zeiteinheiten“. Irrationalisten reden im Zusammenhang mit diesen Artefakten inzwischen nur noch von „Familienmustern“, „Schnörkeln“, „Dekorationsmalereien“ und „Spielzeugen“. Da ist kreationistischer Vorsatz zu unterstellen. Überhaupt macht sich die heutige Geisteswissenschaft insofern angreifbar, da sie einzig die Sichtweisen der Inquisition fortführt. Die Inquisition warf diese ererbten Artefakte und Schriften bekanntlich ins Feuer, sie schrieb die alten Texte um. Der Mensch hat die Sprache und die Zeichensetzung nicht aus Langweile erfunden. Diese Zeichen waren Unterrichtszeichen. Bis zum Eintreffen des Kapitalismus war Kunst ein Synonym für höchstes Können und höchstes Wissen. Erst seit Neuestem fertigt jedes Kindergartenkind mit jedem Buntstift auf jedem Blatt Papier angeblich Kunst an. Die Kunst unserer Urväter bestand noch darin, Darstellungsformen für philosophische Sachverhalte zu erproben. Mit Notwendigkeit waren solche Ausdrucksformen poetisch.

Abb. 5 Afrikanische Schnitzerei, Auktionsware.

Diese afrikanische Schnitzerei hat drei Kammern. Der Turm zeigt an, ob die Sonne hoch, mittig oder tief durch den Himmel fliegt. Man kann abwechselnd ein Türchen öffnen und ein Steinchen in die betreffende Zeitkammer hineinlegen. Oben auf dem Turm finden sich zwei geschnitzte Köpfe. Viele Kulturen zeigen die beiden Halbjahre in Form von zwei Amtspersonen vor. Das „aktuell gültige Halbjahr“ bekommt eine kleine Girlande um den Hals, etc. Solch ein Türmchen meint das, was der Rücken der „Kamm-Struktur“ (in Abb. 3) auch meint: den Zeitraum zwischen den Sonnenwenden.
Ganz am Anfang wurde der Zeitraum zwischen den Sonnenwenden einfach halbiert:

Nochmals Abb. 2. Griechischer Kylix mit Pegasus. Nationalmuseum, Dänemark.

Das fliegende Pferd Pegasus steht für die Sonnenkraft. Die Sonne ist schnell, wie ein Pferd, aber es bedarf auch einer großen Kraft, diese Sonne durch den Himmel zu bewegen. Irgendwann kam es auch auf diese vier Pferdebeine an. Da die Sonne diesen Zeitraum zwischen den Sonnenwenden pro Jahr zweimal durchkreiselt, waren vier solche Jahresteile zu einer Betrachtungseinheit zusammenzufassen, für jedes Pferdebein einer. Die sich herausbildende Mengenlehre benötigte solche vergleichenden Bilder.
Zu einer Schale sagte meine Großmutter Asch. Und das persische Pferd heißt eben auch As. Der römische As war ein Zählgroschen, er wurde in zwölf Unzen eingewechselt. Der As zählte die 12 Monde des Jahres an. Im Hinblick auf das Pferd bleibt zu bedenken, es wurden später auch Vierjahreskreise erzeugt. Man fand oft passend, den Zeitraum zwischen den Sonnenwenden in soviele Teile zu teilen, wie man Halbjahre (oder Jahre) aufzurechnen vorhatte. Es war die sprichwörtliche „Suche nach der Zahl allen Wissens“, man sprach dann von der „Harmonisierung des Wissens“.
Die „Hauptzeile“ dieser Schalen stellt also die Zeit dar. Begrifflichkeiten wie Asch und Sh-ah und As-sa beschreiben den Zeitraum zwischen den Sonnenwenden, das Sonnenmaximum, das Sonnenminimum bzw. die Richtung des aktuellen Halbjahres. – Herodot meinte, der Poseidon hätte für den „Ersten Kubus“ gestanden. Mit dem „Ersten Kubus“ dürfte das Viereck gemeint gewesen sein. Der Poseidon war ein frühes Bild für diesen Zeitraum zwischen den Sonnenwenden, nehme ich daher an. Wieso ein Strich oder ein Viereck ebensogut für den Zeitraum zwischen den Sonnenwenden stehen kann, sieht man an den Schachbrettern, an vielen sog. „Weihrauchaltärchen“ oder in etwa hier:

Abb. 6 Cypriotic, c. 750 – 600 BC, Auktionsware.

Kreis und Viereck werden in den frühen Anschauungen oft bedenkenlos gegeneinander ausgetauscht. Auch hat man den Tisch etymologisch von disc hergeleitet. Mit Kreis und Viereck wurde die Sonnenzyklik umschrieben, denn die Zeitbetrachtung war die sprichwörtliche „Quadratur des Kreises“. Man versuchte die Rundflüge der Sonne auf die Quadrate der Schachbretter zu zählen… Das afrikanische Türmchen in Abb. 5 belegt, daß ein senkrechter Strich in einem solchen Sonnenring den Zeitraum zwischen den Sonnenwenden bezeichnen kann. Jetzt ist das „Laufrad der Sonne“ mit einigen senkrechten Strichen ausgestattet, (vgl. Abb. 6). Wir sehen dann wieviele Halbjahre in Betracht standen. Neben dem „X“ zählen wir links und rechts je fünf Striche. Das X wurde als der Palast bezeichnet, damit war eine Totale gemeint, (s. Schach oder Mühle). Die Totale scheint inzwischen aus 2 x 5 Halbjahren zu bestehen. Das dürfte der Fünfjahrkreis gewesen sein, dieses Großjahr wurde aus 2 x 2,5 Jahren zusammengesetzt.

Viele Arm- und Halsreifen, Spiralen und „Fibeln“ beziehen sich auf den Sonnenring. All diese Hinterlassenschaften werden uns als Schmuckstücke, Fetische bzw. als Kunst oder Ritualgegenstände präsentiert. Mit keinem dieser Begriffe läßt sich etwas anfangen. Wir haben Unterrichtsmittel vor Augen und verehrungswürdig war ihr begriffener Nutzen.
Noch in unseren Hausmärchen finden wir unzählige Versatzstücke, die man auf die frühe Sonnenkunde zurückführen kann, auf dieses archaische Unterrichtsbild des Sonnenringes. Im Märchen von den Bremer Stadtmusikanten hören wir, daß die vier gestapelten Tiere das Unheil aus der Welt vertreiben. Wer von einer tüchtigen Kalenderformel vernommen hatte, dessen Leben erleichterte sich enorm. So war diese Erzählung einst gemeint. Die vier Tiere bezeichneten vier Sonnenstufen, (im Gegensatz zu den drei Sonnenstufen in Abb. 5). In dieser Art war das archaische achtgeteilte Jahr gegliedert. Der Zeus war ein Patron des achtgeteilten Jahres, er konnte sich in vier Tiere verwandeln. Die Tiere hatten in diesen Epochen die momentane Höhe der Sonne zu beschreiben: Es konnte sich der Zeus verwandeln in einen Fisch, eine Maus, einen Hasen und einen Vogel. Fisch schwimmt unten, Vogel fliegt oben. Mit den Lebensräumen der Tiere wurde das Oben und das Unten (der Sonne) abstrahiert. Gemeint waren die Flugbahnen der Sonne im Verlauf der Jahre. Entsprechend steht der Neptun für die anfängliche Zweiteilung des Sonnenraumes. Ganz so, wie es der Kylix in Abb. 2 eben auch abbildet.
Und der Poseidon steht zunächst für den Zeitraum als solchen insgesamt.
Frau Venus bezeichnete das Halbjahr der hochfliegenden Sonne, während Persephone die Patronin des lichtarmen Winterhalbjahres war. (Prof. Hug, Heidelberg, 1812, Herdersche Buchhandlung). Als Goldmarie und Pechmarie sind sie im Märchenbuch aufbewahrt. Wer sich fragt, warum Goldmarie und Pechmarie in einen Brunnen fallen und nach einem langen Fußmarsch dann aber im Himmel landen, der hat mit dem „Sonnenring“ nun die Antwort auf diese Ungereimtheit. Würde man wohl einen Brunnen graben können und so auf die Unterseite der Erde gelangen? Und würde man der Sonne auf ihrem Sonnenweg hinterherlaufen können? Mit solchen Vorstellungen plagte man sich. Was der Sonne zu gelingen schien, blieb dem Menschen natürlich verwehrt.
(C) 2023

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