„Das Zelt der Dreißig“

Warum unsere Vorfahren immerzu 31 Vollmonde (fünf Halbjahre) abzählten.

Wenn der Mensch die Welt auf eine Formel bringen will, gibt es oft Unstimmigkeiten zwischen Theorie und Praxis. Meist leuchten 6 Vollmonde im Halbjahr. Doch manchmal wollte einer 7 Monde gezählt haben. Die Angelegenheit erforderte unendliche Zählreihen. Das Halbjahr ist 6,2 Vollmonde lang, wie wir heute wissen und somit ergibt sich aller fünf Halbjahre ein Schaltmond. Das Halbjahr ist zwar rund sechs Monde lang, aber in fünf Halbjahren leuchten genau 31 Vollmonde. Von den frühesten Zählkreisen ist dieser Zählkreis zu 31 Monden der genaueste. Später baute man auf diesem Zeitzählkreis auf, er wurde oft vervielfacht, in Reihe geschalten.

Über diesen Zeitkreis habe ich in der Literatur kaum etwas gefunden*. Wo und wann er entdeckt wurde, scheint nicht bekannt zu sein. Er scheint sich aber stark verbreitet zu haben. Abgezählt wurde er wohl auch mit dem Yut-Brett, vermute ich, (s. Yut).

Hermann Ranke (Das altägyptische Schlangenspiel, Heidelberg 1920) erwähnt ein ägyptisches Textfragment, das er nicht deuten kann. Da sei von einem „Zelt der Dreißig“ die Rede, die „ein Einunddreißigster“ kröne, vollende. Natürlich sind die Übersetzer aufgeschmissen, sie stochern in diesen uralten Überlieferungen und müssen erraten, worauf sich solche Umschreibungen einmal bezogen. Das Dach oder der Baldachin oder auch das Zelt waren poetische Umschreibungen für etwas, was wir heute ganz abstrakt einen Winkel nennen. Solche „Dächer“, Winkel (Angels…) überspannten „Zeiträume“. Man sieht das beispielsweise an vielen Tempel-Portalen, da sind die Säulen (Zeitenwenden) mit einem „Winkel“ überdacht. Gemeint ist oft der Zeitraum zwischen den Sonnenwenden. Auf diese Weise wurde der „Winkel“, das „Dach“ ein Bild für einen definierten Zeitraum.
Und nun war also aus dem „Zelt der Dreißig“ – das war ein Monatsbegriff – ein „Groß-Monat“ zu 31 Vollmonden geworden.

Ischtar-Tor, Pergamonmuseum Berlin.

Das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum zeigt über dem zentralen Rundbogen genau 31 Monde (weiße Kreise, Blumen) an. Dieses Zeitentor ist demnach 31 Monde lang. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil ein Nachbau eines Ischtar-Tores im Irak den Torbogen mit nur 25 Kreisen überspannt und das war die Formel für das Doppeljahr, bestehend aus dem kurzen Mondjahr zu 12 Monden plus einem langen Mondjahr zu 13 Monden.
Die Mauerkrone ist mit unzähligen kleinen Treppen bestückt, die Sonne klettert diese Stufen fortwährend hoch und runter. Die Treppen unterteilen die Zeitenpendel (Winkel) in Trippelschritte („Monate“).

Wer nun fünf Halbjahreszeiträume zu einer Zähleinheit verbindet, der hätte die „Fünf“ betonen müssen, die Fünf hätte ein Kürzel für diese „bedeutende Unterrichtslektion“ werden können. Wir finden diese Fünf in unterschiedlichen Artefakten in exponierter Weise vor. Die „Mischwesen“ auf dem Tor zählen jetzt möglicherweise die Jahre bereits zu „Großjahren“ auf. Und solche Großjahre werden ebenfalls mit Hilfe der „Treppen“ gegliedert und dekliniert. (Denkbar wäre, daß man hier 5-Jahres-Kreise aus 62 Vollmonden zusammensetzte. Das wären demnach drei Jahre zu 12 Monden gewesen und zwei Jahre zu 13 Monden. Die beiden unterschiedlichen Fabeltiere stünden dann für das kurze und das lange Mondjahr und übereinanderstehend bildeten sie Zyklen von 5 Jahren.)

Aus einem alten Papyrus wurde diese Nut abgemalt. Die ägyptische Nut war eine große Sammelformel der Himmelskundler. Auch sie umspannt mit ihrem Leib einen Ausschnitt aus dem „Goldenen Fluß“ bzw. dem „Ouroboros“, (vgl. auch „Der erste Kubus“ und der „Sonnenring“). Mit Händen und Füßen steht die Nut also nicht etwa auf der Erde, diese Basislinie gilt m. E. wiederum dem Sonnenminimum, der Bogenlinie der Sonne im Winter. Dementsprechend meint der Rücken der Nut die Bogenlinie der Sonne im Hochsommer. Die Höhe der Sonne wird hier verhandelt und das „Flussbett der Sonne“ wird in Ränge, Sonnenstufen eingeteilt.

Der rote Ball ist die Sonne selbst. Sie wird im Osten geboren und im Westen „verschluckt“. – Zudem sind aber noch fünf rote Sonnen auf dem Rücken der Nut eingetragen. Nun steht der Rücken der Nut aber für die höchste Sonne, die Sommersonnenwende. Man kann daher annehmen, daß fünf Sommersonnenwenden mitverfolgt werden sollten. Und das war der Zeitkreis der 31 Monde, der inzwischen bereits zu einer 5 Jahres-Formel (zu 62 Monden) verdoppelt wurde.

Der Himmelsraum den die Nut mit ihrem Körper einrahmt, der wurde hier in fünf Stufen/Zeilen unterteilt. Das könnte man aus „harmonisierenden Gründen“ so gehandhabt haben. Denn „organisch“ läßt sich der Monat zu 36 Tagen (ein Fünftel von 180 Tagen) aus dem Sonnenjahr nicht ableiten. Es muß aber einen „Bedarf“ nach dieser „Fünfteilung“ gegeben haben. Der Zeitkreis zu 31 Monden gab diese Fünf vor.

Harald Haarmann berichtet (Weltgeschichte der Zahlen, München 2008, S. 38f), daß auf den Neuen Hebriden in der Sprache Api die Zahl 5 Luna genannt wurde… Das Halbjahr bestand ja zunächst lange Zeit aus grob sechs Monden. Wenn der Mond nun aber mit der Fünf in Verbindung gebracht wurde, dann könnte auch hier der Zählkreis der 31 Vollmonde in fünf Halbjahren gemeint gewesen sein, denn so hätte dieses Kürzel seinen tiefen Sinn gehabt.

Die Inder ordnen diese roten „Karma“-Punkte übrigens ebenfalls vertikal auf der Körperlinie des „Zeitengottes“ an. Der höchste rote Sonnenpunkt klebt ihnen auf der Stirn. In dieser Form scheint man Mehrjahresformeln verfolgt zu haben, ganz, wie man das vorher mit dem Sonnenjahr allein (Winter-Sommer-Winter) auch praktiziert hatte.

Das Pferd Hippokampo stellt ebenfalls den Sonnenring Ouroboros dar. Wo die ägyptische Nut fünf rote Sonnen auf dem Rücken trägt, sitzen hier fünf „Stacheln“ (Spikes) oben auf dem Sonnenring. Auch diese Formel scheint fünf Sommersonnenwenden anzuzählen.

Die „Hauptzeile“ auf diesem römischen Tontopf führt ebenfalls den Sonnenring „Ouroboros“ vor, wie wir inzwischen wissen. Zu diesem Himmelsabschnitt sagen die Chinesen „Gelber Fluss“ und der Ring beschreibt das „Bewegungsprofil der Sonne“. – Die fünf Striche zählen offenbar fünf Halbjahre an. Denn sobald die Sonne einmal von einem Extrempunkt zum anderen gewandert ist, wird ein Strich gezogen. Somit dürften auch hier bereits 2 x fünf Halbjahre (fünf Sonnenjahre) gemeint sein.

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Kyathos attique (H. 14,7 cm), vers 500 av. J.-C. Bruxelles, Musées Royaux d’Art et d’Histoire R 2512. Photo Musées Royaux d’Art et d’Histoire, Bruxelles.

Und auch diese griechische Vasenmalerei ist wohl ein sensationelles Beispiel für diesen einstmals so berühmten Zählkreis. Wir bekommen hier den 5-Jahres-Kreis vorgeführt, denke ich. Die „Athene“ ist scheinbar die Fachfrau für diese Lehrauffassung. Jedem König hätte man 5 Steine zuordnen und auf das Zählbrett legen können. Mit jedem Stein dürfte man nacheinander die sechs Vollmonde zwischen den Sonnenwenden (auf den sechs Feldern) abgezählt haben. Nach jeweils sechs Vollmonden wird der Stein vom Brett entfernt und der „Athene“ überreicht. (Dieser Moment scheint auf der Vase dargestellt zu sein.) Sind auf diese Weise 5 x 6 Vollmonde abgezählt, erfolgt nun ein „Schaltmond“. Die beiden Könige, die das Brett flankieren, sitzen also für zwei Schaltmonde neben dem Brett. Es sind „anthropomorphe Extrafelder“, die das starre Zählbrett ergänzen und die archaische Zählformel wesentlich verbessern. (Einige Schachhistoriker reden davon, daß höherwertige Schachsteine eher neben dem Brett eine Funktion gehabt hätten.)
Die Bildkomposition auf diesem Tongefäß beschreibt m. E. die Zählanweisung für den 5 Jahreskreis. Zusammengesetzt wird der aus 2 x 5 Halbjahren. Nach fünf Halbjahren wird ein Schaltmond eingefügt.
Das „Zelt der Dreißig“, welches ein „Einunddreißigster“ vollendet, das war ein phänomenaler Zeitkreis, er war offenbar weit verbreitet. –
Ein anderer Zählplan für diesen uralten Zeitkreis ist übrigens das sog. „Gänsespiel“, (s. dort).

*) Über den 30-Jahres-Zyklus berichtet Seymour de Ricci: „Nach Plinius wies der Zyklus eine Dauer von dreißig Jahren auf, er bestand demnach aus zwölf mal zweieinhalb Jahren. Die Gallier hatten also einen kleinen Zyklus von zweieinhalb Jahren und einen großen Zyklus von dreißig Jahren, …, der erste kann verstanden werden als ein „Groß-Monat“ aus dreißig und einer Lunation, der zweite als ein „Groß-Jahr“ aus zwölf Groß-Monaten. Gleicherweise wie der gewöhnliche Monat ein Monat aus Tagen ist, ist der kleine Zyklus ein Monat aus Lunationen und schließlich der Großzyklus ein Monat aus Jahren…“ (Seymour de Ricci, 1898: Le calendrier gaulois de Coligny; Revue Celtique XIX, 213 – 223.)

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